Interview mit Annette Nenner – Autorin von Verschollen in Panama

Ein Interview mit der Autorin des Buches „Verschollen in Panama: Die wahre Tragödie vom Pianista Trail“ – Neun Fragen an Annette, eine von zwei Autoren.

Wie bist du auf den Fall von Kris und Lisanne aufmerksam geworden, und warum hat er dich so gepackt?

Mein Co-Autor Christian hat mir von dem Fall und seiner Idee erzählt, eigene Recherchen zu betreiben. Da ich gerade in Mexiko – also ganz in der Nähe – war und er selbst nicht nach Panama reisen konnte, habe ich die Vor-Ort-Recherche übernommen. Der Fall hat mich vor allem deshalb interessiert, da ich sehr gerne im Regenwald bin (z. B. habe ich mal zwei Monate in einer Wildtierauffangstation im Regenwald von Ecuador verbracht) und die beiden Frauen im Regenwald verschwunden sind.

Du warst selbst fünf Monate in Panama unterwegs. Was hat dich an diesem Land besonders fasziniert – und was war vielleicht eher herausfordernd?

Panama fasziniert mich schon allein deshalb, weil ich ein Faible für Lateinamerika habe und mich dort generell sehr wohlfühle. Ich mag die Kultur, die Sprache, die Herzlichkeit der Menschen.

Herausfordernd war, dass ich in den Ort des Geschehens, Boquete, nicht wie sonst unbeschwert gereist bin, sondern mit dem ganzen Wissen über diese schreckliche Tragödie. Darum erschien mir vor allem am Anfang alles etwas unheimlich, dunkel und mysteriös. Nach und nach habe ich den Ort jedoch lieben gelernt, nun zählt er für mich zu den wichtigsten, die ich besucht habe.

Du hast den Pianista Trail sogar mehrfach bewandert. Wie fühlt es sich an, dort unterwegs zu sein, wenn man weiß, was passiert ist?

Ich bin das erste Mal alleine gewandert (nicht zu empfehlen) und hatte die ganze Zeit ein unheimliches Gefühl. Die Natur ist aber atemberaubend schön, weshalb ich es trotzdem auch genießen konnte. Die weiteren sechs Male hatte ich einen Guide an meiner Seite und habe mich sicher gefühlt. So konnte ich einigermaßen objektiv rangehen, die Strecke genau begutachten, Distanzen messen, Fotos von wichtigen Stellen machen und versuchen, mich in die Frauen hineinzuversetzen.

Also zusammengefasst: Es ist ein bedrückendes Gefühl, dort zu sein, aber es ist rein von der Landschaft her auch wunderschön.

In deinem Buch und auf deiner Website räumst du mit vielen Mythen rund um den Fall auf. Welcher Irrglaube ärgert dich persönlich am meisten?

Die ganze erfundene Theorie über den Guide Feliciano als Täter oder Mitwisser ärgert mich am meisten. Ich habe ihn als fürsorglichen, sehr erfahrenen Guide kennengelernt und bin alle Wege mit ihm gewandert. Zudem habe ich die Gerichtsakten analysiert und nicht den geringsten Hinweis auf ihn als Täter gefunden, was mir auch die Kriminalpolizei und Anwälte bestätigt haben. Noch dazu hat er ein Alibi.

Die schlimmen Anschuldigungen haben sein Leben zerstört, er hat starke Einbußen an Wandergästen und natürlich heftige psychische Belastungen (auch seine Familie) einstecken müssen, die bis heute anhalten. Und das alles, weil er helfen wollte und manche ihm seine Bemühungen falsch auslegen. Das ist eine grenzenlose Ungerechtigkeit.

Du hast mit einigen wichtigen Personen gesprochen, z. B. den Rucksackfindern. Gab es dabei Momente, die dir besonders im Gedächtnis geblieben sind?

Natürlich, sehr viele. Unmöglich kann ich alle aufschreiben. Am meisten beeindruckt haben mich wohl die Begegnungen mit den indigenen Panamaern, zum Beispiel den Rucksackfindern. Da ist zum einen die Sprachbarriere, aber vor allem auch die komplett andere Sicht auf die Welt, da die Ngobe-Bugle ganz anders sozialisiert sind als wir hier in Europa. Wenn ich etwa nach Entfernungen gefragt habe, haben sie mir keine Meter genannt, sondern gezeigt: von hier bis da, also von hier zum Zaun zum Beispiel, oder zum nächsten Baum.

Wie bist du beim Sortieren der ganzen Informationen vorgegangen? Gab es Momente, in denen dir alles wie ein riesiges Puzzle vorkam?

Es kommt mir immer noch alles wie ein riesiges Puzzle vor. Fast jeder, den ich interviewt habe, hat mir wieder von jemand Neuem erzählt, den ich dann interviewen wollte. Aber zum Glück war ich ja nicht allein. Mein Kollege Christian hat von Deutschland aus geholfen, den Überblick zu behalten, hat online Recherchen über die Leute angestellt, hat mir oft gesagt, was ich tun kann, wenn ich nicht weiterwusste, hat mir Mut gemacht. Und vor allem war es hauptsächlich er, der die Gerichtsakten ausgewertet hat, die ich besorgt hatte. Das hätte ich allein niemals geschafft. Wir sind so vorgegangen, wie es sich ergeben hat, denn es kamen ja nach und nach immer neue Infos dazu. Am Anfang konnten wir gar nicht absehen, was sich alles auftun würde. Wir mussten oft einfach reagieren und konnten wenig planen.

Welche Rolle spielt für dich die Umgebung – die Wälder, die Berge, die Trails – bei der Interpretation dessen, was passiert sein könnte?

Ich bin zu 100 Prozent überzeugt, dass die beiden Frauen ermordet wurden, darum spielt die Umgebung für mich nur als “Tathelfer” eine Rolle. Bestimmt hat die Undurchdringlichkeit des Geländes den Tätern geholfen, ihre Tat zu verschleiern.

Aber der Wald mit seinen tierischen und menschlichen Bewohnern ist nicht schuld, dass Kris und Lisanne gestorben sind.

Was denkst du, warum der Fall auch nach so vielen Jahren so viele Menschen bewegt?

Es ist so mysteriös, weil es weder einen von behördlicher Seite ernstzunehmenden Verdächtigen noch ausreichend sterbliche Überreste gibt, die klare Hinweise geben. Dazu kommen Hunderte von Ermittlungsfehlern, also für uns ein klares Indiz dafür, dass die Behörden schlampig gearbeitet haben, was ja auch wieder darauf hindeuten könnte, dass aktiv Dinge verschleiert werden. Da fragt man sich, warum das so ist.

Die beiden können nicht einfach verloren gegangen sein. Diese Vorstellung ist für uns total absurd. Also was ist stattdessen passiert? Es gibt so viele offene Fragen wie in keinem anderen (mir bekannten) Fall – 50 Fragen haben wir allein in unserem Buch zusammengestellt, die zeigen, was alles schiefgelaufen ist.

Gibt es etwas, das du dir von deinen Lesern oder der Öffentlichkeit wünschst, um vielleicht doch noch neue Erkenntnisse ans Licht zu bringen?

Ich wünsche mir, dass alle, die sich für den Fall interessieren, aufhören, an diesen lächerlichen Theorien festzuhalten, die im Internet immer noch kursieren. Statt Energien dafür aufzuwenden, diese Theorien weiterzuspinnen oder Belege für sie zu finden (die es natürlich nicht gibt), wäre es sinnvoller, in die Richtungen zu denken, die wir in unserem Buch beschreiben.

Wir schreiben, wo die Behörden weitere Nachforschungen anstellen müssten, wo es forensische Untersuchungen braucht und welche Zeugen man noch befragen müsste. Vielleicht könnte die Öffentlichkeit Druck ausüben, damit all das geschieht. Bis dahin sollten Interessierte und Hobby-Detektive aufhören, Unschuldige zu Tätern zu machen und Opfer, nämlich Kris und Lisanne selbst zu Mitschuldigen zu machen, indem sie behaupten, sie wären selbst schuld, da sie allein in einen so gefährlichen Wald gegangen sind. Nein, nicht die beiden oder der Wald sind schuld, sondern die Täter. Und natürlich die Behörden und die Regierung, die nicht gründlich genug gesucht haben.

Das Buch